Donnerstag, 11. Mai 2006

Ostern

Vor ein paar Wochen war ja Ostern. Hier auch. Interessant ist, dass es hier keine Hasen zu Ostern gibt. Ich musste allen erklaeren, was das mit den Schokoladenhasen auf sich hat, und wie man Ostereiersuchen geht und so.Das hat Erstaunen und Belustigung hervorgerufen.

Das Hauptding zu Ostern ist hier, wie auch zu Kreschtschenje, wer sich erinnert, nachts. Man versammelt sich so gegen elf an der Kirche, es ist ganz still. Alle sind nuechtern, keiner raucht. Man hat Eier und Kulitsch, eine Art Osterkuchen, dabei. Frauen sollten den Kopf bedeckt haben (gut, dass ich wegen der Kaelte meine Muetze mithatte!), und alle sind ganz feierlich. Es wird nicht viel geredet, die Leute zuenden Kerzen an, waehrend ueber Lautsprecher nach drauszen Lieder und Gebete uebertragen werden. Die kirche sleber, an der wir waren, ist sehr klein, und wir sind nicht reingegangen. Da war eine Riesenschlange von Leuten, denen das wahrscheinlich wichtiger und heiliger war als uns, in die Kirche zu kommen. Ich waere ja nur neugierig gewesen. Aber ich kann mich ja nicht einmal bekreuzigen, also waer das nur peinlich geworden ;-)

Um Mitternacht ging dann Glockengelaeut los. Es war unheimlich laut, und beim ersten Glockenschlag ist bestimmt die Haelfte der Anwesenden zusammengezuckt, weil der Ton die Stille zerrissen hat. Das ist jetzt schon so lange her, und ich hab die Reihenfolge nicht mehr im Kopf. Ich glaube, erst wird noch gebetet, und dann kommt der Supervater, also der… na, der Pastor, nur auf russisch-orthodox, aus der Kirche gefolgt von anderen Kirchenleuten. Alle sind in glitzernde Gewaender gekleidet und tragen an langen goldenen Syecken Ikonen. Die Menge folggt den Kirchenleuten, und man geht den Kreuzweg. In diesem Jahr war das aber nicht besonders andaechtig. Wegen Regens und Kaelte ist der Kreuzweg mehr gejoggt worden, und das durch den Park auf russischen „Wegen“. Aber ich glaube, niemandem ist etwas passiert. Zurueck an der Kirche wundern wir uns, wo die ganzen Leute sind. Vorhin waren es doch fast doppelt so viele! Nach etwa zehn Minuten stellen wir fest, dass wir etwa die Haelfte des Kreuzweges „geschwaenzt“ haben. Aber der Einzug der vielen Leute mit Kerzen und der ganzen Kirchenleute mit dem Gold war sehr schoen anzusehen. Alle haben sich noch gefreut, es gab Glockengelaeut, Gebete und „Christus ist auferstanden“-Rufe, und dann konnte man in die Kirche gehen, wo der Supervater die Leute gesegnet hat. Wir sind aber, es war immerhin schon eins, halb zwei, lieber Bier trinken gegangen und haben dazu unsere Eier und Kulitsch gegessen.

Дальнереченск

Dal’nerEtschensk ist eine kleine Stadt etwa 450 Kilometer oder acht bis neun Autostunden entfernt an der chinesischen Grenze noerdlich von Wladiwostok. In Dal’neretschensk wohnt Nastjas Oma. Am langen Wochenende des 1. Mai sind wir zusammen mit Nastjas Vater dorthingefahren. Am umwerfendsten ist echt die Landschaft hier. Es gibt unglaubliche Weiten, dann wieder Berge, Sumpf… Dann stehen Kuehe in der Gegend rum, hier und da sind drei, vier Haeuser (das ist dann ein Dorf), alle hundert Kilometer oder so ne Art Raststaette (NICHT zu vergleichen mit Raststaetten an deutschen Autobahnen!!)… Man muss das einfach sehen; es zu beschreiben lohnt sich kaum. Einfach nichts. Nur weite Erde.

Wir haben auf dem Weg ein paar Mal angehalten zum Tee trinken. An einer Haltestelle ist eine Quelle, da kann man sich fuer zwei Rubel pro Liter Wasser mitnehmen, wie man lustig ist. Nastja und ich sind mit dem Fahrrad zur Quelle gefahren. Mit welchem Fahrrad? Mit dem, das wir gegen Ende der Hinfahrt bei Leuten in einem winzigen Dorf abgeben sollten. Nastja kann nicht so gut Fahrrad fahren. (Erinnert sich jemand aus Weyhe noch an die Franzosen in der achten Klasse? Vergleichbar.) Ich geh also recht gemuetlich in Richtung Quelle, Nastja faehrt hinter mir hin und her. Ploetzlich hoer ich nur noch „aaaah, weg da!“ und gleichzeitig ein „rumms“. Dreh mich um, steht Nastja gerade von einer Rolle wieder auf. Sie hat das mit dem Bremsen nicht auf die Reihe gekriegt und waere fast von hinten in mich reingefahren. Also hat sie sich lieber hingeworfen. Sie war voellig dreckig, aber der Dreck hat gezeigt, dass die Rolle, die sie gemacht hat, 1-a war. Sand und Staub waren genau an den Stellen, ueber die man rollen muss, damit es gut aussieht und nicht weh tut. Alles andere war sauber. Danach bin ich ein bisschen Fahrrad gefahren. Das erste Mal seit acht Monaten. War kurios!

In Lessosawodsk, etwa eine Stunde vor Dal’neretschensk, haben wir eine laengere Pause eingelegt, weil Nastjas Vater dort geboren ist. Er ist ausgestiegen und wollte bei irgendwelchen Verwandten vorbeigucken. Die waren nicht da, aber dafuer hat er die naechsten Verwandten drei Haeuser weiter zu fassen gekriegt. Er war lange weg, Nastja und mir wurd schon langweilig. Schlieszlich kamen alle Verwandten raus, um mich zu betrachten. Es war etwas seltsam.

Dann kam, es war schon dunkel, das Dorf, in dem wir das Fahrrad abgeben sollten. Wir steigen aus. Der Sohn der Familie, Ende zwanzig vielleicht, ist mit NAstjas Vater bekannt. Er stellt uns seiner Mutter, fuer die das Fahrrad ist, vor: „Das sind Gaeste aus Wladiwostok.“ Nastjas Vater legt den Arm um mich und sagt, „also, eigentlich kommt DIESE junge Frau aus Deutschland.“ Man laechelt sich an und geht ins Haus. Dort kriegen wir hausgemachtes Essen, selbstgeschlachtetes Schwein, Samogonka (Selbstgebrannten), und, und, und. Die Hausfrau entschuldigt sich nach etwa fuenf Minuten dafuer, dass sie sich nicht vorgestellt hat, und sagt, „ich bin Marina.“ Nastja: „Nastja.“ Ich: „Johanna.“ „Wie?“ „Jo-han-na.“ Fragender Blick. Ich muss lachen. „Ich bin keine Russin.“ Nastjas Vater: „Ich hab doch gesagt, sie kommt aus Deutschland.“ Marina: „Und ich hab’s nicht geglaubt.“

Nachts sind wir in Del’neretschensk angekommen. Eigentlich wollten wir bei Nastjas Onkel uebernachten, aber der hat uns auf Grund irgendwelcher familiaerer Geschichten hochkant rausgeschmissen. Also zu Mama. Das ist, Nastjas Oma. Nastjas Papas Mama. Mama/Oma war zwar auch nicht grad begeistert ueber den unangekundigten naechtlichen Besuch, hat uns aber gnaedigerweise eine Schlafstaette und zwei Tage ausgezeichnete Kost zur Verfuegung gestellt. Nastja und ich hatten zusammen ein kleines Bett mit einer nur maeszig groszen Decke, aber es war nicht so heisz, dass es zu eng gewesen waere.

Am naechsten morgen wachen wir nach einer mueckengeraeuschvollen Nacht auf. Ich zaehle an Armen und Beinen 21 Stiche. Nastja zaehlt einen am linken Arm, ueberlegt aber, ob dieser Punkt an der Hand, der gestern noch nicht da war, vielleicht ein Mueckenstich ist. Oma macht uns zum Fruehstueck Haehnchensuppe. Nach den fuer Nastja stets obligatorischen zwei Tassen Tee machen wir uns auf den Weg, die Stadt zu erkunden. Es ist eine sehr kleine Stadt, und nach anderthalb Stunden haben wir alles gesehen. Inklusive chinesisches Dorf. Wir haben auf dem Zentralen Platz Aikido-Schritte anhand von aufgemalten Punkten geuebt, haben uns im Kinderpark fotografiert und mit Kriegsdenkmaelern. Jetzt faengt es an zu regnen, und auszerdem muessen wir mal. Also in eine Sakusotschnaja, eine Art Cafeteria, Bier und Trockenfisch bestellt, hingesetzt. Das war mittags um eins. Das Klo in dem Laden war auszer Betrieb, „aber naechste Woche kommt jemand, der repariert das!“ Die Klofrage haben wir geloest, aber das ist eine lange Geschichte.

Im Grunde haben wir also in Dal’neretschensk den ganzen Tag nichts gemacht. Wir sind spzierengegangen, haben Bier getrunken und Klos gesucht. Wir waren am Fluss, am Ussurij, aber leider hat es geregnet, und wir sind nicht lange am Fluss geblieben, weil alles nass war. Abends sind wir erneut von Oma mit laendlichem Essen vollgestopft worden, anschlieszend haben wir uns in die teuerste und schickste Disco der Stadt, ins „Restaurant Zentral“, begeben. Da war es ganz, ganz fuerchterlich. Dass oft schlechte Musik laeuft, so 80er, 90er-Pop, daran hab ich mich schon gewoehnt. Aber DER Laden hat wirklich die aeltesten Sachen von Scooter, Ace of Base und 2Unlimited rausgekramt. Und das in einer Lautstaerke, dass jegliches Gespraech unmoeglich war. Wir sind nach Hause gegangen, schlafen. Schlieszlich wollten wir am naechsten Morgen die Erster-Mai-Parade angucken.

Der naechste Morgen brachte nicht nur eine weitere Ladung Mueckenstiche fuer mich und einen weiteren fuer Nastja, sondern auch Pisswetter. Zur Parade sind wir nicht gegangen. Stattdessen haben wir uns auf den Heimweg gemacht. Noch bei dem Onkel angehalten, der uns auf dem Hinweg rausgeschmissen hatte. War okay alles. Nastjas Cousine hat auch nicht geglaubt, dass ich Deutsche bin, und es gab wieder dick Hausmannskost. Dann sind wir den ganzen Tag nach Hause gefahren. Ich habe guebt, das russische Wort fuer „Staub“ richtig auszusprechen, und Nastja ist am deutschen Laut „ue“ verzweifelt.

(Dass Leute nicht glauben, dass ich Deutsche bin, liegt uebrigens nicht an meinen ausgezeichneten Russischkenntnissen. Wenn ich sprech, merken sie recht schnell, dass mit mir irgendwas nicht stimmt. Es ist nur so, dass Auslaender hier nicht weisz sind. Auslaender sind Chinesen, Koreaner, Japaner. Ein paar Amis. Die haben einen anderen Stil. Aber keine Europaer. Und schon gar nicht auf dem Land.)

9. Mai – Siegestag

Was bei uns der achte Mai ist, naemlich Kriegsende, Befreiungstag, Stunde Null, oder wie man es auch nennen mag, das ist hier der neunte Mai. Er heiszt „Siegestag“.

Nastja und ich haben schon vor einem halben Jahr beschlossen, diesen Tag voelkerfreundschaftlich zu begehen und uns in diesem Sinne vom achten auf den neunten Mai zu betrinken. (Neunter Mai ist offizieller Feiertag.) So ist es nach dem Training mit noch Anja und Sascha dabei auch geschehen, sogar noch internationaler: In einem chinesischen Restaurant. Rusanna, unsere Trainerin, hat uns ein bisschen ausgelacht, als wir von unserem Plan erzaehlt haben, und wie wir morgens um 10 dann den Kniefall vor dem Ewigen Feuer angucken wollen und anschlieszend die Militaerparade. „Ihr steht sowieso nicht auf.“ Sie hat Recht behalten.

Die letzten Reste der Parade haben wir aber noch mitgekriegt. Sogar einer flammenden Rede fuer den Helden Stalin haben wir gelauscht. Das war ein bisschen gemein, denn der Typ, der sie gehalten hat (ohne Mikro, einfach so mit nem Pappschild und ner Sowjetflagge in der Menge), hat das wirklich alles geglaubt, was er erzaehlt hat, ne andere Generation halt, und die umstehenden juengeren Leute, so bis dreiszig, haben ihn mit Hurra-Rufen zwar irgendwie unterstuetzt, aber von ihrer Seite war das pure Verarsche. Ich hab den Typen und sein Schild fotografiert, stell ich mit rein.
Wir sind im Prinzip den ganzen Tag einfach spazierengegangen. Die ganze Stadt war auf den Beinen, sowohl am Zentralen Platz also auch am Meer. Es war sehr kalt weil windig, aber ab spaetem Mittag hat die Sonne geschienen. Trotzdem kalt und windig. Wir haben verschiedene Leute getroffen, die sich uns angeschlossen und uns dann wieder verlassen haben. Um fuenf, also das Programm auf dem Zentralen Platz eine zweistuendige Pause eingelegt hat, sind wir mit einer Flasche Bier an den Strand gegangen und haben da gesessen. Es war nach dem ganzen Trubel wunderbar ruhig. Auf dem Weg zum Strand wollte ich noch neue Batterien kaufen. In dem Laden habe ich eine unglaublich fuerchterliche Sonnenbrille fuer 200 Rubel gesehen, die ich unbedingt haben musste. Keiner hat diesen meinen Wunsch verstanden, aber ich hab sie gekauft und stolz wie Oskar aufgesetzt. Steh das, grins alle an, sag, „gehen wir, ich will meine neue Sonnenbrille in der Oeffentlichkeit ausfuehren.“ Alle grinsen ein wenig. Ich nehm es als freundschaftliches sich-mitfreuen. Ich dreh mich um zur Tuer, dreh mich noch einmal um, um zu gucken, ob die anderen folgen. Tun sie, Sascha ist sogar direkt hinter mir. Kommt aus dem Grinsen nicht mehr raus, raet: „Mach nur den Aufkleber vorher ab.“

Gegen sieben sind wir zurueck zum Zentralen Platz, und das Programm ging weiter bis um zehn. Das Programm, das waren Volks- und Kriegslieder, Volkstaenze, alles recht patriotisch, und Spiele fuers Publikum. Frau in Klopapier wickeln, 24-kg-Gewicht so oft wie moeglich stemmen, ne Parade imitieren und so. Um zehn war Salut, ein Feuerwerk, und alle haben sich ueber den Sieg und sich selbst gefreut und „Hurra“ gerufen. Das war nun WIRKLICH seltsam. Es war aber mehr ein Sich-selbst-Feiern als Hass auf Deutsche. Ein bisschen komisch hab ich mich aber gefuehlt. Nur gut, dass ich mit Russen da war, und nicht mit anderen Auslaendern. Das waere noch seltsamer gewesen.

Als ich dann gestern Morgen aufgewacht bin, habe ich mich ein bisschen ueber mein auf dem Kopfkissen schmerzendes Gesicht gewundert. HEISZ war mir! Ich geh ins Bad, guck in den Spiegel – knallrot, dicker Sonnenbrand. Und das, obwohl wir SO gefroren haben! Hab mich den halben tag mit Smetana (quarkaehnliches Zeug) eingeschmiert, und heut is schon besser.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

HB
bin wieder im lande.
joki - 3. Sep, 19:09
Wow! Jetzt weiß ich,...
Wow! Jetzt weiß ich, wo ch auch noch hin muss
la lune qui brille - 4. Aug, 09:38
aufenthaltsort
hallo. ich bin in tallinn. am 18.07. bin ich aus wladiwostok...
joki - 3. Aug, 12:44
Ende in Sicht
Irgendwie ist gerade bei allen ein Ende ich Sicht. CHristian...
rosedarling1 - 2. Aug, 10:56
an alle johannafreunde
Info von Mama: Johanna ist entweder gerade in St....
almutti - 26. Jul, 19:26

Suche

 

Status

Online seit 6817 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 3. Sep, 19:09

Credits


Profil
Abmelden
Weblog abonnieren