Donnerstag, 11. Mai 2006

Дальнереченск

Dal’nerEtschensk ist eine kleine Stadt etwa 450 Kilometer oder acht bis neun Autostunden entfernt an der chinesischen Grenze noerdlich von Wladiwostok. In Dal’neretschensk wohnt Nastjas Oma. Am langen Wochenende des 1. Mai sind wir zusammen mit Nastjas Vater dorthingefahren. Am umwerfendsten ist echt die Landschaft hier. Es gibt unglaubliche Weiten, dann wieder Berge, Sumpf… Dann stehen Kuehe in der Gegend rum, hier und da sind drei, vier Haeuser (das ist dann ein Dorf), alle hundert Kilometer oder so ne Art Raststaette (NICHT zu vergleichen mit Raststaetten an deutschen Autobahnen!!)… Man muss das einfach sehen; es zu beschreiben lohnt sich kaum. Einfach nichts. Nur weite Erde.

Wir haben auf dem Weg ein paar Mal angehalten zum Tee trinken. An einer Haltestelle ist eine Quelle, da kann man sich fuer zwei Rubel pro Liter Wasser mitnehmen, wie man lustig ist. Nastja und ich sind mit dem Fahrrad zur Quelle gefahren. Mit welchem Fahrrad? Mit dem, das wir gegen Ende der Hinfahrt bei Leuten in einem winzigen Dorf abgeben sollten. Nastja kann nicht so gut Fahrrad fahren. (Erinnert sich jemand aus Weyhe noch an die Franzosen in der achten Klasse? Vergleichbar.) Ich geh also recht gemuetlich in Richtung Quelle, Nastja faehrt hinter mir hin und her. Ploetzlich hoer ich nur noch „aaaah, weg da!“ und gleichzeitig ein „rumms“. Dreh mich um, steht Nastja gerade von einer Rolle wieder auf. Sie hat das mit dem Bremsen nicht auf die Reihe gekriegt und waere fast von hinten in mich reingefahren. Also hat sie sich lieber hingeworfen. Sie war voellig dreckig, aber der Dreck hat gezeigt, dass die Rolle, die sie gemacht hat, 1-a war. Sand und Staub waren genau an den Stellen, ueber die man rollen muss, damit es gut aussieht und nicht weh tut. Alles andere war sauber. Danach bin ich ein bisschen Fahrrad gefahren. Das erste Mal seit acht Monaten. War kurios!

In Lessosawodsk, etwa eine Stunde vor Dal’neretschensk, haben wir eine laengere Pause eingelegt, weil Nastjas Vater dort geboren ist. Er ist ausgestiegen und wollte bei irgendwelchen Verwandten vorbeigucken. Die waren nicht da, aber dafuer hat er die naechsten Verwandten drei Haeuser weiter zu fassen gekriegt. Er war lange weg, Nastja und mir wurd schon langweilig. Schlieszlich kamen alle Verwandten raus, um mich zu betrachten. Es war etwas seltsam.

Dann kam, es war schon dunkel, das Dorf, in dem wir das Fahrrad abgeben sollten. Wir steigen aus. Der Sohn der Familie, Ende zwanzig vielleicht, ist mit NAstjas Vater bekannt. Er stellt uns seiner Mutter, fuer die das Fahrrad ist, vor: „Das sind Gaeste aus Wladiwostok.“ Nastjas Vater legt den Arm um mich und sagt, „also, eigentlich kommt DIESE junge Frau aus Deutschland.“ Man laechelt sich an und geht ins Haus. Dort kriegen wir hausgemachtes Essen, selbstgeschlachtetes Schwein, Samogonka (Selbstgebrannten), und, und, und. Die Hausfrau entschuldigt sich nach etwa fuenf Minuten dafuer, dass sie sich nicht vorgestellt hat, und sagt, „ich bin Marina.“ Nastja: „Nastja.“ Ich: „Johanna.“ „Wie?“ „Jo-han-na.“ Fragender Blick. Ich muss lachen. „Ich bin keine Russin.“ Nastjas Vater: „Ich hab doch gesagt, sie kommt aus Deutschland.“ Marina: „Und ich hab’s nicht geglaubt.“

Nachts sind wir in Del’neretschensk angekommen. Eigentlich wollten wir bei Nastjas Onkel uebernachten, aber der hat uns auf Grund irgendwelcher familiaerer Geschichten hochkant rausgeschmissen. Also zu Mama. Das ist, Nastjas Oma. Nastjas Papas Mama. Mama/Oma war zwar auch nicht grad begeistert ueber den unangekundigten naechtlichen Besuch, hat uns aber gnaedigerweise eine Schlafstaette und zwei Tage ausgezeichnete Kost zur Verfuegung gestellt. Nastja und ich hatten zusammen ein kleines Bett mit einer nur maeszig groszen Decke, aber es war nicht so heisz, dass es zu eng gewesen waere.

Am naechsten morgen wachen wir nach einer mueckengeraeuschvollen Nacht auf. Ich zaehle an Armen und Beinen 21 Stiche. Nastja zaehlt einen am linken Arm, ueberlegt aber, ob dieser Punkt an der Hand, der gestern noch nicht da war, vielleicht ein Mueckenstich ist. Oma macht uns zum Fruehstueck Haehnchensuppe. Nach den fuer Nastja stets obligatorischen zwei Tassen Tee machen wir uns auf den Weg, die Stadt zu erkunden. Es ist eine sehr kleine Stadt, und nach anderthalb Stunden haben wir alles gesehen. Inklusive chinesisches Dorf. Wir haben auf dem Zentralen Platz Aikido-Schritte anhand von aufgemalten Punkten geuebt, haben uns im Kinderpark fotografiert und mit Kriegsdenkmaelern. Jetzt faengt es an zu regnen, und auszerdem muessen wir mal. Also in eine Sakusotschnaja, eine Art Cafeteria, Bier und Trockenfisch bestellt, hingesetzt. Das war mittags um eins. Das Klo in dem Laden war auszer Betrieb, „aber naechste Woche kommt jemand, der repariert das!“ Die Klofrage haben wir geloest, aber das ist eine lange Geschichte.

Im Grunde haben wir also in Dal’neretschensk den ganzen Tag nichts gemacht. Wir sind spzierengegangen, haben Bier getrunken und Klos gesucht. Wir waren am Fluss, am Ussurij, aber leider hat es geregnet, und wir sind nicht lange am Fluss geblieben, weil alles nass war. Abends sind wir erneut von Oma mit laendlichem Essen vollgestopft worden, anschlieszend haben wir uns in die teuerste und schickste Disco der Stadt, ins „Restaurant Zentral“, begeben. Da war es ganz, ganz fuerchterlich. Dass oft schlechte Musik laeuft, so 80er, 90er-Pop, daran hab ich mich schon gewoehnt. Aber DER Laden hat wirklich die aeltesten Sachen von Scooter, Ace of Base und 2Unlimited rausgekramt. Und das in einer Lautstaerke, dass jegliches Gespraech unmoeglich war. Wir sind nach Hause gegangen, schlafen. Schlieszlich wollten wir am naechsten Morgen die Erster-Mai-Parade angucken.

Der naechste Morgen brachte nicht nur eine weitere Ladung Mueckenstiche fuer mich und einen weiteren fuer Nastja, sondern auch Pisswetter. Zur Parade sind wir nicht gegangen. Stattdessen haben wir uns auf den Heimweg gemacht. Noch bei dem Onkel angehalten, der uns auf dem Hinweg rausgeschmissen hatte. War okay alles. Nastjas Cousine hat auch nicht geglaubt, dass ich Deutsche bin, und es gab wieder dick Hausmannskost. Dann sind wir den ganzen Tag nach Hause gefahren. Ich habe guebt, das russische Wort fuer „Staub“ richtig auszusprechen, und Nastja ist am deutschen Laut „ue“ verzweifelt.

(Dass Leute nicht glauben, dass ich Deutsche bin, liegt uebrigens nicht an meinen ausgezeichneten Russischkenntnissen. Wenn ich sprech, merken sie recht schnell, dass mit mir irgendwas nicht stimmt. Es ist nur so, dass Auslaender hier nicht weisz sind. Auslaender sind Chinesen, Koreaner, Japaner. Ein paar Amis. Die haben einen anderen Stil. Aber keine Europaer. Und schon gar nicht auf dem Land.)

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