Donnerstag, 19. Januar 2006

Altes Neues Jahr und Kreschtschenskij Moros

Hier waren noch zwei wichtige Feiertage: Altes Neues Jahr am 13.01. und Kreschenskij Moros heute bzw. in der Nacht auf heute.

Altes Neues Jahr ist Neujahr nach dem alten Kalender. Es ist eine Woche nach Weihnachten. Hier war es ja die ganze letzte Zeit recht kalt, so um 15 Grad minus, nachts noch viel kälter, aber an Altes Neues Jahr hat es geschneit und war deshalb warm. Ich bin morgens aufgewacht, hab aus dem Fenster geguckt und meinen Augen nicht getraut. Endlich!!! Hab mich gefreut wie ein kleines Kind.
Wir, das waren Nastja, Anja und ich, waren zum Anlass des Alten neuen Jahres am Abend im Theater. Dort hat eine Galashow stattgefunden. Es war recht feierlich; alle saszen an fein gedeckten Tischen und haben Sekt getrunken. Auf der Bühne lief ein Musik- und Showprogramm, leider fast nur Stücke aus englischsprachigen Musicals. Zwischendurch gab es Spiele (Russen lieben Spiele, hab ich so den Eindruck) wie Zungenbrecher um die Wette aufsagen (mit der Gefahr, ganz furchtbar den Sinn zu verdrehen bzw. sich in MAT, russischen Schimpfworten, zu verlieren), zu zweit lange Sueszigkeiten um die Wette essen (wie Spaghetti), mit Hintern, Nase oder Zunge was in die Luft schreiben usw. Um Mitternacht kamen D’ed Moros und Sneguschka, der Tannenbaum ist angegangen, und alle haben drumherumgetanzt und Neujahrslieder gesungen. Ich war natürlich nicht so textsicher, aber bei den Refrains ging’s.
Wir drei saszen mit einem Pärchen am Tisch, das die ganze Zeit geschwiegen hat und gegen halb eins gegangen ist, zwei mehr als halbvolle Sektflaschen auf dem Tisch stehengelassen habend.

(Achtung, dies ist eine Riesenklammer. Der Typ war sowieso der Knaller. Für mich jedenfalls, die Frauen hier sind ja daran gewöhnt, dass Männer sich gerne aus Höflichkeit – es ist wirklich nett gemeint!! – so verhalten, als könne eine Frau überhaupt nichts selber. Wir drei hatten also unsere erste Sektflasche erhalten. Nastja sitzt am nächsten dran und fängt an einzuschenken. UND WAS MACHT DER TYP? Nimmt ihr die Sektflasche aus der Hand und schenkt uns allen dreien ein. Wir kannten ihn überhaupt nicht! Anja fand das nicht weiter besonders, Nastja eigentlich auch nicht. Ich natürlich schon, und Nastja kennt son bisschen meine Haltung zu einigen der hiesigen männlichen Verhaltensweisen, und wir haben uns nur angeguckt und mussten uns SO zusammenreiszen, nicht lauthals loszulachen. Ich über den Typen, sie über mich. …. …….. Da fällt mir eine ganz ähnliche Episode ein, ich komm jetzt ein bisschen vom Thema ab, aber wat soll’s. Vor ein, zwei Wochen saszen wir wie so häufig mit ein paar Leuten bei mir. Mein Becher Bier war leer, und weil alle grad irgendwie beschäftigt waren und die Bierflasche in der Nähe stand – wieso rechtfertige ich mich hier überhaupt?? -, hab ich angefangen, Bier in meinen Becher nachzufüllen. Tolik bemerkt das und reiszt mir förmlich die Flasche aus der Hand.
Ich „Hey, spinnst du? ICH schenk ein!“
Er: „Nein, das geht nicht.“
„Gib die Flasche.“
„Nein, du bist ein Fräulein. Es gehoert sich nicht, dass Fräuleins einschenken. Das ist unhöflich.“
„G I B D I E F L A S C H E zurück, verdammt!“
Er hat sie mir gegeben, war aber genauso beleidigt wie ich. Wir sind dann später nochmal darauf zurückgekommen, und ich hab ihm erklärt, dass ich verstehe, dass es ein Zeichen von Wertschätzung ist, wenn er mir einschenken will, und falls er es noch nicht bemerkt haben sollte, ich benehm mich schon viel besser als noch vor einigen Monaten. Er solle das zur Kenntnis nehmen und gleichzeitig verstehen, dass ich aufgrund meiner kulturellen Prägung anders funktioniere und dass er mich durchaus beleidigt hat, als er mir die Flasche weggenommen hat. Er hat mir auseinandergesetzt, dass ich mich auch daneben verhalten habe aus den oben genannten Gründen. Schlieszlich sei ich bei ihm zu Gast und müsse seine Sitten akzeptieren. Hab ich gesagt, mach ich groesztenteils, aber dies sei MEINE Wohnung, und er sei bei MIR zu Gast. Daraufhin hat er nachdenklich geguckt. Ich habe das ganze sehr schön abgerundet mit den Worten, „Tolik, guck, ich bin in deinem Land ein Gast, und Du in meiner Wohnung. Wir sind also beieinander zu Gast und müssen deshalb auf den jeweils anderen ein bisschen Rücksicht nehmen.“ Er hat mir zugestimmt!!! (Wenn Ihr Tolik kennen würdet, wüsstet Ihr, was DAS bedeutet. Tolik ist der auf dem „Mein-Freund-Saddam“-Foto.))  Ende der Risesenklammer und der kleinen Klammer gleichzeitig. Ich muss lernen, mit weniger Klammern zu schreiben.

Weiter im Text. Um zwei sind wir mit den anderen letzten Gästen und der einen halbvollen Sektflasche zusammen aus dem Theater gekehrt worden. Nastja hat es sich nicht nehmen lassen, im Schnee vorm Theater Rollen zu machen. Die Rollfotos selbst sind leider zu dunkel geworden, aber ein grad-aufgestanden-Foto fueg ich hinzu.

Eigentlich wollten wir noch in irgendeinen Club, aber alles war schon voll bzw. wir sind nicht durch die Gesichtskontrollen gekommen. Weil es so eine schöne weisze warme Nacht war, sind wir deshalb einfach spazierengegangen. Eine ganze Weile waren wir auf dem Zentralen Platz der Stadt. Dort sind Buden, Pony-, Rentier- und Kamel(!!)reiten und, am spektakulärsten, Eisfiguren in einem Eispalast. Ganz unglaublich, da sind alle möglichen Tiere aus Eis und sogar eine Rutsche! Und GROSZ, das alles! Kalt genuch is ja. Fotos davon stell ich auch mit rein.

So um halb fünf, fünf hat Anja sich ein Taxi nach Haus genommen, und Nastja und ich haben noch Hering und Bier gekauft und haben bis weisznichwann bei mir gesessen. (Die Sekt- und Bierkombi haben wir am naechsten Tag gemeinsam vorm Fernseher bereut…)


Kreschtschnje

Gestern nacht und heute ist ein hoher kirchlicher Feiertag. Ich hab das überhaupt nicht gewusst. Wir haben nach dem Training bei mir gesessen, und Tolik lehnte auf meine Nachfrage ein weiteres Nachschenken mit der Begründung ab, er müsse heut noch schwimmen gehen. Ich weisz, dass Tolik ein Morsch ist (russisches Wort für Robbe oder ein ähnliches Tier, hab vergessen, wie die heiszen). Das heiszt, er gehört zu den Leuten, die auch im Winter jeden Tag im Meer baden. Warum er aber nachts um zwölf kein Bier mehr, sondern lieber baden wollte, war mir etwas schleierhaft. Er hat mir dann erklärt, dass Kreschtschenje ist. Das Wort übersetzt sich einmal mit „Taufe“ und einmal mit „Dreikönige“. „Kreschtschenskij Moros“ bezeichnet eigentlich laut Wörterbuch „eine strenge Kaelteperiode in der zweiten Januarhaelfte“, wird aber auch auf den heutigen Tag angewendet. Heute, am besten aber in der letzten Nacht zwischen zwei und vier, ist das Meerwasser ganz klar und verfügt über heilende Kräfte gegen fast alle Krankheiten und befreit von Sünden.
Deshalb springen nicht wenige Leute in der Nacht, aber auch den ganzen Tag lang, nur mit Badehose bekleidet in ein ca. anderthalb mal drei Meter groszes Loch im Eis. Bei 20 Grad minus, wohlgemerkt. Die meisten springen rein, tauchen einmal den Kopf unter und fliehen dann in die Umkleidekabine. Nicht wenige tauchen sich dreimal ganz unter und bekreuzigen sich jedes mal. Einige, vor allem Frauen, tauchen den Kopf nicht unter. Das ganze Ritual ist eine Mischung aus Spasz und Tradition, und aus religiösem Glauben. Wie ein Mensch da badet, hängt sehr davon ab, wie er das Fest betrachtet. Wenige extrem Hartgesottene, darunter Tolik, gehen ganz gemütlich ins Wasser, schwimmen einmal hin und zurück und gehen sich anschlieszend anziehen. Natürlich bin ich Tolik in besonderer Weise zugetan, aber ich glaube, objektiv sagen zu können, dass er in der halben Stunde, die wir da waren, der Coolste war: Erstmal hat er in Badehose lauter überall verteilte, weil in übereilter Flucht in die Umkleidekabine vergessene, Badelatschen eingesammelt und auf einen Haufen geworfen. (Sanja hat ihm vorgeschlagen, doch ein Badelatschengeschaeft zu eröffnen.) Dann ist er ins Wasser gegangen, ganz gemütlich, ist hin und her geschwommen, um sich dann in aller Seelenruhe im Wasser hinzustellen und drei 5-l-Flaschen mit dem in dieser Nacht heiligen Wasser zu füllen. Sanja und ich haben anschlieszend auf ihn gewartet, wir haben SO gefroren! Und die Verrückten gehen SCHWIMEN! Es war schon beeindruckend, und ich bin froh, dass ich mich aufgerafft und zugeguckt hab – eigentlich hatte ich nämlich schon gesagt, ich komm nicht mit, weil ich schlafen gehen will. Es hat sich aber auf jeden Fall gelohnt.

Nachtrag: Ich krieg die Fotos nicht verkleinert. Wie leb ich blosz ohne meine Maureen??? Vielleicht kommt Nastja nachher vorbei, sie versteht das Fotoprogramm bestimmt besser als ich. (Kann besser Russisch.)

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